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Hui, beinahe verpasst. Die Deutsche Bahn AG ist mit dem diesjährigen Big Brother Award in der Kategorie „Wirtschaft“ ausgezeichnet worden.
Liest man die Laudatio von padeluun, wird das Votum der Jury nachvollziehbar.
Für mich als Inhaber einer Bahncard 100 besonders interessant:
Richtig anonym und komfortabel geht’s wohl nur mit der Bahncard 100. Freie Fahrt für reiche Bürger, auch auf der Datensammelbahn – sollte man meinen. Einmal 3.400 Euro bezahlen, einsteigen und einfach fahren, ohne Fahrkartenkauf, ohne Internetgeklicke, ohne fummelige Zettelwirtschaft. Aber auch hier lauert die Datenkrake in ihrem perfiden Versteck: In der Karte ist heimlich ein RFID-Schnüffelchip integriert. Der Chip kann, vom Benutzer unbemerkt, per Funk ausgelesen werden. Zur Erinnerung: Der Metrokonzern mußte seine heimlich mit Schnüffelchips verwanzten Payback-Karten im Jahr 2004 umtauschen; die gesamte RFID-Industrie wurde in Mißkredit gezogen. Der zuständige Vorstandsvorsitzende der Metro mußte seine Vorstandstätigkeit zwischenzeitlich aufgeben.
Wir haben den Chip in der Bahncard 100 bereits im Jahr 2005 in einem kleinen Artikel auf der Website des FoeBuD e.V. beschrieben. Drei Tage nach Veröffentlichung rief der betriebliche Datenschutzbeauftragte an und fragte an, ob die Bahn jetzt den BigBrotherAward bekommen würde. „Bis repetita non placent“ beschieden wir als gebildete Asterix-Leser ihm. „Wiederholungen gefallen nicht“. RFID-Karten hatten ja schon soooo einen Bart. Er atmete hörbar auf. Er versprach, dass die Bahn zukünftig deutlich auf den Chip hinweisen wird.
Einem Kunden gegenüber, der eine Bahncard 100 ohne Chip wollte, gab er nach unserem Telefonat die Auskunft, dass der Chip nicht aktiviert sei. Dennoch meldet sich der Chip an jedem Lesegerät, das nach dem gleichen Standard arbeitet. Wären die Lesegeräte bereits so flächendeckend verbreitet, wie sich das die Industrie noch 2003 vorgestellt hatte, wäre die Bahncard 100 letztendlich eine Art Wanze, die durch ihre eindeutige Nummer den Standort der Kartenbesitzerin mitteilt. Solche Daten gehören nicht freigelassen! Zumindest haben die Benutzer ein Recht darauf, zu wissen, was sie mit sich herum tragen. Ich habe extra noch einmal alle Newsletter der Deutschen Bahn AG seitdem durchgesehen. Bis heute kein Wort. Gar nichts.
Quelle
Wirklich überrascht bin ich nicht. Denn die Bahncard100 ist gleichzeitig auch „Schlüssel“ für viele Fahrzeuge bei den Car-Sharing-Unternehmen in dieser Republik. Ich meine auch, in diesem Zusammenhang explizit von RFID gelesen zu haben.
So oder so. Der Preis ist wichtig. Die Bahn eine würdige Preisträgerin.
So lange die Konsumenten weiter unkritisch sind und nicht wissen wollen, was mit ihren Daten geschieht, werden Konzerne versuchen, ein Maximum an Informationen zu erlangen, zu speichern und zu rastern. Alles im Sinne einer „Best Customer Experience“ – klar.
Das mangelnde Bewusstsein um Datensicherheit, informationelle Selbstbestimmung und Freiheit von Informatition bei der Mehrheit der Menschen, die mitten in der Informationsgesellschaft leben, kann langsam beängstigen.
Denn jetzt werden Gesetze und Bestimmungen erlassen, die das Verhältnis von Staat und Bürger, Anbieter und Konsument in der digitalen Welt regeln.
Wenn aber sowohl Gesetzgeber als auch Bürger gar nicht verstehen (können), welche Möglichkeiten des Missbrauchs die Informationstechnologie heute schon bietet und in Zukunft noch bieten wird, wie können dann in einem demokratischen Prozess die Weichen in die richtige Richtung gestellt werden?
Manchmal denke ich, dass auch in Deutschland Platz ist für eine Piratenpartei nach schwedischem Vorbild. Und wenn es nur der Sensibilisierung dient.