Von Schlaglöchern, Regen, Stromausfällen und Köchen, die aussehen wie Josef Stalin

Es regnet in Strömen. Das erste was ich von der Ukraine sehe, ist der Soldat, der auf der Treppe am Ausgang des Flugzeuges in Stellung gegangen ist. Sein Gesichtsausdruck ist genau so finster wie das aktuelle Wetter an der Schwarzmeerküste. Was der dort macht, erschliesst sich mir nicht.

Die Einreiseformalitäten sind dieses mal schneller bewältigt. Ich weiss, dass ich ein Formular ausfüllen muss mit meinem Namen, dem Grund meines Aufenthalts und der Adresse meiner Unterkunft. Mein Reisepass wird kritisch beäugt, auf einen Scanner gelegt – und schliesslich abgestempelt.

Willkommen in der Ukraine.

Fast. Jetzt noch am Zoll vorbei. Bevor man das Gate verlassen kann, muss das Gepäck ein weiteres Mal durch die Röntgenmaschine. Bei dem Anblick des alt wirkenden Gerätes mache ich mir ernsthafte Sorgen, ob mein Rechner die Strahlenbehandlung überleben wird. Er hat sie überlebt. Der freundliche Zölnner zeigt sich aber weniger an meinem MacBook interessiert als an dem Hochzeitsgeschenk, dass sich in meiner Tasche befindet. Also: Aufmachen bitte. Was hat das gekostet? 100 EUR., lüge ich. Ob ich noch mehr Geschenke hätte. Nein, stimmt sogar. Also kein Nachverzollen des Hochzeitgeschenks. Gut!

Die Schlaglöcher auf der Strasse vom Flughafen in die Stadt scheinen noch tiefer geworden zu sein. Der heftige Regen hat die Strasse fast in einen Fluss verwandelt und die Schlaglöcher sind gefährliche Untiefen. Ich bin froh, im knallneuen japanischen Geländewagen meiner Gastgeber zu sitzen – tatsächlich wohl das einzig sinnvolle Fahrzeug für eine Stadt wie Odessa.

Gefahren wird nach dem Recht des Stärkeren. Wobei das ähnlich läuft wie am Arc de Triomphe in Paris: Fahrer neuerer Autos fahren vorsichtiger als die Menschen am Steuer alterschwacher Ladas.

Mir fällt wieder auf, wie dunkel die Stadt ist. Wenn es Strassenbeleuchtungen gibt, ist sie schwach – ausserhalb des Stadtzentrums gibt es kaum Geschäfte, deren Schaufenster oder Schilder leuchten könnten. Hin und wieder sorgen Riesenwerbeplakate für Telekommunikationsfirmen und Baumärkte für ein wenig Helligkeit.

Da ich in weitgehender Unkentniss der Sprache (im Osten der Ukraine wird mehrheitlich nach wie vor Russisch gesprochen) und der Kultur reise, lasse ich mich treiben. Lasse mich überraschen, was als nächstes passiert. Der Ich folge den Anweisungen meiner Gastgeber was zu tun ist und versuche zu verstehen, was vor sich geht.

Wir treffen die Braut in einem Friseursalon, wo sie die letzten Details für ihre Hochzeitsfrisur besprochen hat. Ich bin fast ein bisschen enttäuscht: Der Salon könnte genau so in Saarbrücken oder Kaiserslautern sein.

Als wir kurze Zeit später an einem der riesigen Baumärkte, halten um schnell noch einen Backofen zu kaufen bin ich nicht wirklich überrascht. Ich wusste gar nicht, dass man Badewannen mit integriertem DVD-Player und Flatscreen kaufen kann.

Wir fahren weiter in das Büro. Hier wird für Banken Software entwickelt und der Innenausbau von neuen Büro- und Wohnräumen geplant. Mir ist nicht ganz klar, womit mehr Geld verdient wird.

Mit dem Backofen in dem einen, unserem Gepäck in dem anderen Geländewagen fahren wir weiter. Ich weiss immer noch nicht genau wohin. Wir halten schliesslich an einem Restaurant in einem der Edelbezirke Odessas die geprägt sind von teueren Restaurants und noch viel teureren Hotels. In diesem Restaurant soll am Samstag Hochzeit gefeiert werden. Allerdings muss noch die Menüfolge festgelegt werden. Jetzt.

Wir sitzen im grossen Festraum des Restaurants. Eine Konstruktion dünner Vorhänge trennt den Raum. Auf der anderen Seite wird ein Kindergeburtstag gefeiert. Während die Eltern beisammen sitzen und speisen, werden die Kinder von einer professionellen Animateurin im Prinzessinenkostüm unterhalten. Das ganze bei einem unvorstellbar lauten Mix der bekanntesten Eurodance-Hits.

Inzwischen sind beide Schwiegerelternpaare eingetroffen. In einer nicht enden wollenden Diskussion mit dem Chefkoch, der auf bizarre Art und Weise gleichzeitig an Stalin und Paul Bocuse erinnert, einigt man sich über die auf der Hochzeit zu servierende Speisen.

Die Kinder nebenan sind müde und die Prinzessin hat Feierabend. Statt dessen ist nun die dem Restaurant eigene Band eingetroffen und beginnt zu spielen. Ihr Repertoire reicht von der schwermütigen Odessitischen Ballade bis zur Coverversion internationaler Pophits. Auch sie spielen in einer unvorstellbaren Lautstärke. Immerhin gehen die Verhandlungen mit Ihnen über die am Samstag zu spielenden Lieder schnell von statten.

Um 21:30 fällt der Strom aus. Die gesamte Strasse, alle Hotels und Restaurants liegen im Dunkeln. Routiniert stellen die Kellner Kerzen auf die Tische. Niemand macht Anstalten zu gehen. Durch die Zwangspause der Band wird es plötzlich sehr gemütlich. Nach einer Dreiviertelstunde ist der Strom wieder da und die Band beginnt unverzüglich wieder zu spielen. Who the Fuck is Alice?

Keine halbe Stunde später haben sich die Schwiegereltern, der Vater des Bräutigams ist vom Fach, mit dem Chef endlich über das Menü geeinigt. Wir fahren weiter durch die Nacht.

Das Haus meiner Gastgeber liegt etwas ausserhalb der Stadt. Dort mache ich eine weitere Entdeckung: Es gibt Duschkabinen mit blauen LEDs und eingebautem Radio – das, wenn es blinkt, an Knight Rider erinnert.

Ich wundere mich, nicht weggebeamt zu werden.

Veröffentlicht von Andreas

Andreas Schepers leitet die Kommunikation des Berliner Labors des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, DFKI. Hier schreibt er privat über Dinge, die ihn interessieren: Astronauten, Pop, etc... und KI.

Beteilige dich an der Unterhaltung

2 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.