Die Ankündigung Googles vom Januar diesen Jahres, über 15 Millionen Bücher amerikanischer Universitätsbibliotheken zu digitalisieren und zugänglich zu machen, hat in Frankreich eine heftige Debatte ausgelöst.
Jean-Noël Jeanneney, Präsident der französischen Nationalbibliothek (BNF), rief darauf hin in Le Monde zu einer europäischen Gegenattacke auf, denn das Projekt münde in einer erdrückenden Dominanz Amerikas in der Definition der Weltsicht kommender Generationen.
„…une domination écrasante de l’Amérique dans la définition de l’idée que les prochaines générations se feront du monde“.
Staatspräsident Jaques Chirac fordert nun ein europäisches Gegenprojekt, denn immerhin ginge es um die kulturelle Vielfalt Europas, die durch ein rein amerikanisches Angebot gefährdet sei.
Alle großen Zeitungen des Landes widmen dem Thema viel Aufmerksamkeit.
Eine kleine Presseschau:
Claudine Mulard weist in ihrem Artikel in Le Monde darauf hin, dass Google zwar mit englischen Büchern beginnt, das fertige Produkt aber – wie alle Google-Angebote – auch internationalsiert würde. Man stünde bereits mit nicht-amerikanischen Bibliotheken in Kontakt und lade auch die BNF ein, an dem Vorhaben teilzunehmen.
Der Nouvel Observateur macht die Größenordnungen deutlich, um die es bei diesem „pharaonischen“ Projekt geht: Während die Kosten des Google-Projekts bis 2015 auf zwischen 150 und 200 Millionen Euro geschätzt werden, gibt Frankreich derzeit 15 Millionen Euro jährlich für die Digitalisierung von Büchern, Zeitungen und Filmen aus. Die BNF habe bereits rund 80.000 Titel aus ihrem Bestand digitalisiert und online verfügbar gemacht.
L’Express stellt die Frage, ob es nicht gefährlich sei, es amerikanischen Unternehmen zu überlassen, das kulturelle Erbe Frankreichs und Europas im Web zu verbreiten.
Interessant finde ich, dass es diese Diskussion in Deutschland nicht gibt. Statt dessen schaut man etwas verwundert hinüber nach Frankreich und seinem Verständnis der „exception culturelle“. Auch habe ich von einer politischen Reaktion auf Chiracs Forderungen noch nichts gesehen oder gehört.
Aber vielleicht handelt es sich in der Tat um eine sehr französische Debatte, die durch eine reflexartige Ablehnung komerzieller amerikanischer Absichten angeheizt wird.
Dennoch kommt durch den amerikanischen Vorstoß eventuell nun etwas Bewegung in die europäische Bibliothekenlandschaft, wo jede nationale Bibliothek ihr eigenes Süppchen kocht. Vielleicht sehen wir ja bald ein europäisches Grossprojekt zur Digitalisierung des kulturellen Erbes Europas. Aber hier fangen die Probleme schon an: Wer entscheidet eigentlich, was zum kulturellen Erbe gehört?
Wie das Google-Print Library Project mal funktionieren wird, kann man sich schon mal als Demo anschauen.
Deutschlandradio hat übrigens einen hörens- und lesenswerten Beitrag gesendet, der die aktuelle Diskussion in Frankreich zusammenfasst.