Darmstadt

Darmstadt on FLICKR by Joachim S. MüllerFoto: Joachim S. Müller

Was habe ich mir alles anhören müssen: Ob es mein Ernst sei, nach Darmstadt zu ziehen. Warum ich mir nicht eine Wohnung in Frankfurt am Main suche. Überhaupt: Darmstadt. Schon der Name.

Nach knapp vier Monaten des Arbeitens dort und etwa sechs Wochen des Wohnens wage ich die Prognose: Wir werden wohl keine dicken Freunde, Darmstadt und ich.

Eines vorweg: Ich bereue nicht, nach so vielen Jahren aus Saarbrücken weggezogen zu sein. Der Job in Darmstadt macht viel Spaß, aber…

Wohnungssituation

Schon die Wohnungsmarkt birgt wenig Grund zur Freude. Darmstadt scheint aus allen Nähten zu platzen. Kein freier Wohnraum, nirgends. Kommen doch einmal Wohnung auf den Markt, sind dafür neben erstaunlich hohen Mieten auch Maklercourtagen zu entrichten. Erschreckend, was für Wohnungen gemakelt werden. Klein, dunkel, teuer.

Ein Tipp an Alle, die es auch nach Darmstadt verschlägt: Die Bauverein AG, ein ehemalig gemeinnütziger Bauträger, besitzt in Darmstadt ca. 12.000 Wohnungen. Darunter sind einige sehr attraktive, zum Beispiel im Hundertwasserhaus Waldspirale oder gleich nebenan im Bürgerparkviertel. Offiziell muss man sich um eine Wohnung bewerben, der Vorgang kann aber durch eine nachhaltige Demonstration ernsten Interesses durchaus beschleunigt werden. Ein weiterer Vorteil des Bauvereins: Eine Maklerprovision wird nicht erhoben.

Wissenschaftsstadt Darmstadt

Darmstadt führt stolz den Titel der Wissenschaftsstadt. Was sie zweifellos auch ist: Neben der Technischen Universität (TUD) gibt es die Hochschule (h_da) sowie drei Fraunhofer Institute. Außerdem können das Europäische Satellitenkontrollzentrum der ESA (ESOC) und die Europäische Organisation für die Nutzung meteorologischer Satelliten (EUMETSAT) zur wissenschaftlichen Gemeinschaft Darmstadt gezählt werden.

Im Umfeld des ESOC und EUMETSAT haben sich zahlreiche Firmen der Luft- und Raumfahrtbranche angesiedelt. Auch die Telekom ist mit T-Online in Darmstadt stark vertreten. Ein weiter wichtiger Arbeitgeber in der Stadt ist die Pharma-Firma Merck.

Abwesenheit von Alternativ-Kultur

Diese starke Präsenz technikgetriebener Ausbildungsgänge und Unternehmen wirkt sich auf das Stadtbild aus: die grosse Mehrheit der Studierenden ist männlich, Alternativ-Kultur, wie man sie aus Städten mit starken geisteswissenschaftlichen Fakultäten kennt, fehlt weitestgehend.

Aber natürlich gibt es auch in Darmstadt die berühmten Ausnahmen der Regel. Mitten in der sonst ziemlich langweiligen Innenstadt liegt die Centralstation, eine halb-öffentliche Location, die mit einem beeindruckenden Kulturprogramm aufwarten kann. Auch gibt es im Martinsviertel, im Norden der Stadt, durchaus das ein oder andere Café, das einen Besuch lohnt. Dennoch, die gefühlte Abwesenheit von Alternativkultur schmerzt.

Dass die lokale Veranstaltungspostille in ihrer April-Ausgabe mit der „Entega Kultnacht des Rock“ aufmacht, bei der Kiss- und AC/DC-Coverbands antreten, vertieft den Schmerz umso mehr.

Zentrum des Jugendstils

Darmstadt wird auch als Zentrum des Jugendstils bezeichnet. Kennt man Städte wie Leipzig mit ihren unzähligen Jugenstilaltbauten, fragt man sich unwillkürlich, woraus sich dieser Anspruch nährt. Die Innenstadt Darmstadts (mit Ausnahme des Stadtschloß-Ensembles, das zugegebener Massen recht hübsch ist und die Universitätsbibliothek beherbergt) wirkt so beliebig wie austauschbar. Würde die Wikipedia ein Bild zur Illustration von Westdeutschland suchen, würde ich ein Foto der Darmstädter Innenstadt vorschlagen.

Aber es gibt tatsächlich eine Gegend in der Stadt, die vom Jugendstil geprägt ist. Die Mathildenhöhe war einstmals eine Künstlerkolonie, noch heute finden sich dort Jugendstilvillen und vor allem das Wahrzeichen Darmstadts, der Hochzeitsturm. In ganz schlechten Momenten erinnert mich das Dach des Turms an einen mir zum Hohn entgegengestreckten Mittelfinger.

Veröffentlicht von Andreas

Andreas Schepers leitet die Kommunikation des Berliner Labors des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, DFKI. Hier schreibt er privat über Dinge, die ihn interessieren: Astronauten, Pop, etc... und KI.

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12 Kommentare

  1. selbst dran schuld, könnte man sagen :p

    ohne nun selbst der größte frankfurt-fan zu sein (ich wohne hier seit vier jahren), kann darmstadt, wo ich selbst einige bekannte habe, in kaum einer kategorie auch nur annähernd mit ffm mithalten, auch wenn sich die darmstädter das selbst gerne einreden.

  2. Naja, wahrscheinlich bin ich Opfer meiner eigenen Bequemlichkeit. Denn am Ende ist der Weg zur Arbeit nur 15 Minuten lang. Wohnte ich in Frankfurt wäre ich mindestens eine Stunde pro Weg unterwegs…. Wird schon, das mit Darmstadt und mir ;-)

  3. Schon in der Oettinger Villa gewesen? Dort gibts auch ab und an feine Konzerte. Sehr alternativ dort.

  4. Ach, so übel fand ich Darmstadt nicht.
    Ich kenne vor allem Bessungen, das beschauliche Viertel an der Orangerie, mit einem klasse kleinen Wochenmarkt, dem schönstmöglichen Flohmarkt (erst im Sommer) und allerlei netten Veranstaltungen. Dann wären da noch der Woog (ziemlich einzigartig), der Prinz-Georgs- und der Botanische Garten — einen Sommer kriegt man da gut rum.
    Wünsche ein paar erfreuliche Entdeckungen!

  5. Bei den wissenschaftlichen Einrichtungen hast du das GSI vergessen.

    btw.: Frankfurt kann in keiner Kathegorie mit Darmstadt mithalten, außer in Größe. Ich glaube nicht mal, dass Frankfurter sich da ernsthaft was einreden… ;-)

  6. Im GSI wird Grundlagenforschung betrieben.
    6 der 14 bereits erzeugten Transactinoide wurden dort zuerst erzeugt.
    Deshalb heisst das darmstädter Wissenschafts- und Kongresszentrum ja „Darmstadtium“, nach dem Element 110.
    (Nein, ich arbeite bei der Fraunhofer-Gesellschaft :-)

  7. dann solltesr du dich vielleicht einfach aus darmstadt verpissen, statt zu blöd herzu labern. am besten nach berlin, diese so wahnsinnig alternative stadt. wopdy-fucking-doo

  8. @Joachim: gib Darmstadt noch ein bisserl Zeit, das wird schon mit Euch beiden. Ich bin in Darmstadt geboren war aber nie wirklich ein Heiner (was für eine bescheuerter Name btw). Trotzdem gibt’s eine Sache, die sehr für die kleine Stadt spricht – und das sind die Leute. Wenn Du Dich an den entsprechenden Orten aufhältst, hast Du eine freundliche und aufgeschlossene Klientel, mit der man auf jeden Fall auskommen kann.

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