Retrofuturismus

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Einer der meine Lieblingsbücher in der Bibliothek Bertelsmann-Club-Büchersammlung meiner Grosseltern ist „So leben wir im Jahr 2000“. Als Kind habe ich darin geblättert und war sehr glücklich. Wenn ich 26 Jahre alt sein würde, flöge ich mit dem Auto oder machte Urlaub auf dem Mond…

Sascha Lobo schreibt aktuell bei Telepolis in diesem Kontext:

Wenn ich mir die Kinderbücher ansehe, mit denen ich groß geworden bin und in denen Szenarien “So leben wir im Jahr 2000″ entworfen wurden, weiß ich: mit Zukunftsprognosen kann man sich zum Idioten machen.

Das mag sein. Betrachtet man aber diese Post- oder eher wohl Werbekarten aus dem 1900 kann man sich einer gewissen Rührung nicht entziehen. Dies rührt wohl daher (sic!) dass zwar der Gebrauch vom Technologie in der Zukunft dargestellt wird, aber noch davon ausgegangen wird, daß insbesondere Kleindungs-Moden und bestimmte Handlungsweisen keiner Veränderung unterliegen. Die Mode im Jahr 2000 entspricht hier der des Jahres 1900 und auf dem fahrenden Bürgersteig sitzen die Damen natürlich auf Bänken, während die Herren stehen. Auf dem Skywalk des Hannovermessegeländes habe ich noch keine Damenbänke entdecken können.

Rätselhaft ist die Vorstellung, es könne erstrebenswert sein, Jesus gleich auf Wasser spazieren zu können. Woher kommt diese Idee?

Hier werden Szenarios für den Einsatz emerging technologies des 20. Jahrhundert antizipiert. Das Telefon ist zu diesem Zeitpunkt erst seit 20 Jahren bekannt, dürfte aber noch nicht sonderlich tief in die Lebenswelten der Menschen vorgedrungen sein. Aus der Möglichkeit Sprache über grosse Entfernungen zu übertragen, leitet der Gestalter der Postkarte die Vision ab, ebenso Theatervorstellungen übertragen zu können. Daß das Radio nur wenige Jahre später in der Lage sein würde, Reichsparteitage und Weihnachtsfeiern an der Front zu übertragen, konnte er 1900 nicht ahnen.

Der Wunsch nach Mobiliät zeigt sich auch in der Idee, ganze Häuser per Zug bewegen zu können. Dass Häuser heute von Autos gezogen werden, konnte der Gestalter auch nicht vorhersehen. Dennoch ist dieser offensichtlich alte Wunsch nach der Mitnahme seiner heimischen Umgebung heute für alle Holländer viele Menschen erfüllbar.

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Erschreckend aktuell scheint die Vorstellung zu sein, mit Hilfe verbesserter Röntgenstrahlung in das Wohnungsinnere zu schauen. Daß sich die Privatsphäre der Menschen nur ganz wenige Jahre nach dem Jahr 2000 in das digitale verlagern würde konnte er ebenfalls nicht wissen. Schliesslich scheinen sich das die im Jahre 2007 amtierenden Minister das auch noch nicht verinnerlicht zu haben.

[boing boing]

Veröffentlicht von Andreas

Andreas Schepers leitet die Kommunikation des Berliner Labors des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, DFKI. Hier schreibt er privat über Dinge, die ihn interessieren: Astronauten, Pop, etc... und KI.

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3 Kommentare

  1. Ich empfehle „Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 auf das Jahr 1887“ von Edward Bellamy, erschienen (ISBN 3-15-002660-1). Das kann noch weiteres, z.B. werden SÄMTLICHE Waren in JEDEM Kaufhaus als Muster vorrätig gehalten und per Rohrpost dann geliefert – egal wohin, egal woher.

    Sowas wie Ekauf offline.

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